Konjunkturpolitik, 15. 02. 2006

Privater Konsum – Therapie oder Ursache der Arbeitslosigkeit?

Einkaufstaschen


Die angebotsorientierte „neoliberale“ Wirtschaftspolitik hat angesichts der Massenarbeitslosigkeit definitiv versagt. Auch jenseits der Gewerkschaftsszene identifizieren nun manche Politiker den privaten Konsum als Triebfeder für die Beschäftigung. Damit greifen sie wiederum eine volkswirtschaftliche Theorie aus vergangenen Zeiten auf, deren Wirksamkeit angesichts heutiger Strukturen fraglich ist.

Wiewohl dramatisch gesunken, macht die Lohnarbeit noch 67% des Sozialprodukts aus. Radikal vereinfacht lässt sich also die These aufstellen, dass nur Konsumausgaben, die mehr als 67% inländische Lohnkosten enthalten, zur Senkung der Arbeitslosigkeit beitragen. Erfüllen die Konsumgewohnheiten der Bundesbürger diese Bedingung? Die Lohnquoten beliebter Waren und Dienste geben schnell Aufschluss:

  • Autoproduktion ca. 13%
  • Zulieferer Autoindustrie ca. 24%
  • Flugtourismus ca. 3 %

Auch die anderen inländischen Industrieprodukte haben nur rund 13% Lohnkostenanteil. Bei importierten Waren ist die Lohnquote natürlich noch viel niedriger. Ähnliches gilt für Internet, Handy und Klingeltöne.

Gern werden unsere Konsumgewohnheiten mit dem Attribut „Geiz ist geil“ umschrieben. Das trifft nur bedingt zu. Denn gerade die umsatzstarken Produkte mit den niedrigsten Lohnquoten weisen höchste Gewinnmargen auf. Die Aktionäre werden vom Verbraucher fürstlich beschenkt. Der private Konsum hat die erfolgreichsten globalen Konzerne finanziert und immense Vermögen entstehen lassen, die nun als selbständige Unternehmen („private equity“ bzw. „Heuschrecken“) gewachsene Wirtschaftsstrukturen zerschlagen und sicher geglaubte Jobs vernichten.

Um so härter trifft der Konsumenten-Geiz die Werktätigen. Arbeitsintensive Leistungen, ob Handwerk, Kultur, Gesundheitswesen, Pflege oder ÖPNV empfinden wir als überteuert. Schwarzarbeit und Heimwerken haben Hochkonjunktur. 30.000 Euro für ein repräsentatives Auto sind angemessen, 300 für dessen Inspektion eine Unverschämtheit.

Fatal ist nur, dass Werktätige und Konsumenten identisch sind. Eine Gesellschaft, die nur noch Nachfrage nach Leistungen ausübt, die nicht zu ihrem Lebensunterhalt beitragen, fällt zwangsläufig der Massenarbeitslosigkeit anheim. Denn nur vom Export kann keine Volkswirtschaft leben, nicht mal der Exportweltmeister. Außerdem stimmt die These vom Exportweltmeister nur in finanzieller Hinsicht. Gemessen in Arbeitsstunden übertreffen die importierten Produkte – überwiegend Konsumgüter - bei weitem das Exportgut. So gesehen sind wir eher beim Importvolumen rekordverdächtig.

Die Beschäftigungseffekte sind erheblich, wie simple Rechenbeispiele zeigen:

  • dank Flugtourismus verlagern wir 60 Mrd. Kaufkraft p.a. ins Ausland. Im inländischen Gastgewerbe könnten damit ca. 1,5 Mio Jobs entstehen (Annahme 50.000,- Personalkosten pro Kopf, Lohnquote 67%, Multiplikator 1,0 für indirekte und induzierte Effekte; neg. Effekte (Flugtouristik) –100.000 Jobs)
  • Wir kaufen jährlich PKW im Werte von 120 Mrd. Euro. Behielten wir unser Auto doppelt so lange wie bisher und gäben das Ersparte für „intelligente“ Leistungen (Kultur, Bildung, Gesundheit...) aus, entstünden zusätzlich 1,2 Mio. Jobs (67% Lohnquote statt 17% beim Auto, 50.000,- Personalk.p.P.)

Wer ist schuld?

  • wir dummen Konsumenten, die ihr sauer Erspartes für Jobkiller-Produkte verschleudern?
  • Wirtschaft, Medien und Werbung, die uns zum jobkillenden Konsum verführen?
  • Der Staat, der uns mit Autobahnen und Flughäfen die falschen Konsumanreize gibt?

Was tun?

  • Nichts. Denn man darf in der Demokratie dem Konsumenten keine Vorschriften machen
  • Die Konsumenten zum arbeitsintensiveren Konsum ermahnen (wie kürzlich Wirtschaftsminister Glos)
  • Privilegien für Jobkiller-Produkte beseitigen (Aufhebung der Steuerbefreiung für gewerbliche Luftfahrt, Status von Straßen und Luftfahrtinfrastruktur als öffentliches Interesse aufheben...)
  • Staatliche Förderung der Bildung, weil Intelligenz auch intelligente arbeitsintensivere Nachfrage (z.B. Kultur) bewirkt. (Bildungsinvestition finanziert sich langfristig selbst, weil dann weniger Stütze und staatl. Subventionen für Kultur nötig)
  • Durch hohe Steuern Konsumnachfrage auf den Staat verlagern (Skandinavien: staatliche Investitionen in lohnintensive Leistungen wie Bildung, Forschung, Kultur)
  • Arbeitslosigkeit als Kosten verrechnen (Dänemark: Luxussteuer auf PKW)

Was sollte die verantwortliche Politik, die Opposition, die Grünen tun?

Wer hat den Mut, das Wahlvolk als Konsumenten zu beeinflussen?

Wie sollte man dies ggf. tun?

Werner Geiß