Mobilitätsauswirkungen, 2006

Mobilität über alles, über alles in der Welt?

 

Autos

Auswirkungen unseres extremen Mobilitätsbedürfnisses auf Wirtschaft, Arbeitsplätze, Staatshaushalt, geistigen Horizont und Umwelt

Mobilität und Wirtschaft

Unsere Mobilität lassen wir uns was kosten. Damit verschaffen wir Touristikkonzernen, Öl- und Autoindustrie stetig steigende Umsätze und satte Gewinne. Dank unserer Freigebigkeit kann die Industrie für eine modische Karosserie leicht eine Milliarde investieren, um unsere Begierde weiter anzustacheln. Selbst ein kerniges Motorengeräusch ist den Marketingexperten Unsummen wert. Wir zahlen ja. Der klamme Staat dagegen verschuldet sich für Flughäfen und Autobahnen immer mehr, um unseren Bewegungsdrang zu bewältigen. Die öffentlichen wie privaten Investitionsmittel, die für Forschung, Bildung, Kultur, Gesundheitswesen und Pflege dringend gebraucht werden, verschlingt unser Mobilitätsbedürfnis.

Mobilität und Beschäftigung / Mit Vollgas in die Arbeitslosigkeit?

-  Ganze 13 % des Kaufpreises fürs neue Auto sind Personalaufwand. Mindestens zwei Drittel unserer Konsumausgaben sollten es aber sein, damit die Arbeitslosigkeit nicht zunimmt. Also: lieber das Auto länger behalten und schonen, regelmäßig zur Inspektion und im Zweifel die Bahn nehmen. Denn ähnlich wie die Autowerkstatt ist der öffentliche Nahverkehr mit gut 70 % Arbeitskostenanteil eine echte Jobmaschine.

-   Wir Bundesbürger sind und bleiben Reiseweltmeister: 60 Mrd. Euro Kaufkraft schaffen wir jährlich außer Landes. Von unseren Ausgaben für Flugreisen landen nur rd. 4% in heimischen Lohntüten. Würden wir statt dessen mit dem Zug zur Ostsee fahren, könnten mehr als eine Million neuer Jobs entstehen.

-       LKW und Frachtflieger sind die idealen Vehikel der Globalisierung. Mühelos und preiswert verknüpfen sie weltweit die günstigsten Arbeits- und Absatzmärkte. Milliarden Steuergelder werden in Flughäfen und Autobahnen investiert, und die Folge ist: bei uns stehen immer mehr Werkhallen leer und der nächtliche Verkehrslärm schwillt weiter an.

 Mobilität und Staatshaushalt / Teurer Bewegungsdrang:

-       Bau und Unterhalt von Straßen belasten unsere klammen Kommunen weit mehr als das viel beklagte Defizit von Bus und Bahn.

-  Subventionen und Steuerbefreiung des Flugverkehrs kosten jeden Steuerzahler im Schnitt gut 300 Euro im Jahr. Das Billigfliegen kommt uns also ganz schön teuer.

-     Fahrkarten für Bus und Bahn sind eine gute Geldanlage: Dank ihrer Vorliebe für die Bahn verfügen die Schweizer über ein ebenso kostendeckendes wie perfektes Verkehrsangebot zum günstigen Preis. Der Staat wird nicht durch Defizite belastet und spart obendrein noch beim Straßenbau.

 
Mobilität und Gesellschaft / Geistige Mobilität

Zu Zeiten von Goethe und Kant erstarkten unsere Ahnen zum Volk der Dichter und Denker. Die enorme geistige Mobilität erlahmte erst im vergangenen Jahrhundert, als die physischen Flügel von Auto und Flugzeug jene des Pegasus ersetzten. Nun sind wir das Volk der Flieger und Lenker: weltweit die meisten, weitesten Flugreisen, die meisten, schnellsten, stärksten Autos. Der Glanz unserer Persönlichkeit erstrahlt in Silbermetallic vor der Haustür.

Aber es ist nur eine blecherne Fassade. Sie verbirgt nicht die höchste Arbeitslosenquote führender Industrieländer, das miserable Abschneiden bei der Pisa-Studie, die extrem niedrige Akademikerquote, die Abwanderung der Eliten....

In den Städten sind wir längst psychisch wie physisch Gefangene der motorisierten Mobilität. Fast der gesamte öffentliche Raum ist dem Auto vorbehalten. Selbst unser ästhetisches Empfinden leidet. Eine Kippe auf dem Gehweg wird mit 20 Euro geahndet, ebendort geparkte Geländewagen erfreuen dagegen unser Herz, weit mehr als die Kinderwagen, die nicht mehr an den Ungetümen vorbei passen....

 Die physische Mobilität hat von unseren geistigen Kapazitäten Besitz ergriffen, gleich ob auf der Überholspur oder am Stammtisch. Streifen wir endlich die blechernen Selbstwertprothesen ab, kehren zurück zu den Wurzeln, entdecken wieder Kultur und Wissenschaft, finden Identität und Selbstbewusstsein in der geistigen Mobilität, die uns einst ausgezeichnet hat.

 
Mobilität und Umwelt

Nun hat der Klimawandel auch die Verursacher erreicht. Überflutungen, Stürme und tropische Hitze verursachen hierzulande inzwischen Milliardenschäden. Und die Ziele unseres Mobilitätsdrangs leiden noch mehr: die Alpen zerbröseln, die Malediven ersaufen, Spanien und Portugal verbrennen und verdorren.

Da hilft es nichts, die Ursache gemeinhin auf „die Industrie“ zu schieben. Die steht nämlich auch im Dienste unserer Mobilität. So müssen rund 20 Tonnen natürlicher Ressourcen verarbeitet werden, um einen einzigen PKW herzustellen. Diese Produktionsprozesse verursachen mehr Umwelt- und Klimaschäden, als ein moderner PKW im gesamten Fahrbetrieb hervorruft.

 
Es wird Zeit, inne zu halten. Beenden wir die motorisierte Massenflucht vor den Problemen unserer Gesellschaft. Deren Lösung finden wir nur durch geistige Mobilität.

Montagsrunde