ÖPNV aufs akademische Anstellgleis?

ÖPNV aufs akademische Abstellgleis?

Die Montagsrunde kommentiert die Berufung von Dieter Posch zum neuen ÖPNV-Dozenten an der „Management School“ der Uni Kassel (ÖPNV=ÖffentlicherPersonenNahVerkehr).

Die Folgen der Aktivitäten von Dieter Posch (FDP) als hessischer Verkehrsminister sind allgegenwärtig: Ein dichtes Netz von Autobahnen prägen das nordhessische Landschaftsbild. Der Ausbau des überflüssigen Flughafens Kassel-Calden wird noch lange den Landeshaushalt belasten. Der Sound schubkräftiger Turbinen durchdringt dank der Nordwestlandebahn nun auch die letzten Winkel des Rhein-Main-Gebiets. Solche kostspieligen Verkehrsinvestitionen konnte sich Hessen aber nur leisten, weil die Zuschüsse zum ÖPNV in der Fläche rigoros gekürzt wurden, in den Ballungsgebieten trotz Kostensteigerungen stagnierten.

     Während Ballungsräume z.B. in Baden-Württemberg, erst recht im benachbarten Europa ziemlich erfolgreich die Verkehrswende meistern, Bahn und Bus vielerorts schon die Grundlast des Verkehrs vom Auto übernommen haben, hat Dieter Posch kraft Ministeramt die Renaissance einer eher museumsreifen, mineralölgetrieben Mobilität durchgesetzt. Wie mag der frisch gebackene ÖPNV-Dozent seinen neuen Job wohl verstehen? Wir erinnern uns noch an seinen ersten Tag im Amt als hessischer Verkehrsminister, als er publicityträchtig Tempo 100-Schilder an hessischen Autobahnen eigenhändig abschraubte. Wir hielten ihn bisher für ein Fossil, für einen Wiedergänger aus der Autopionierzeit, für eine verkehrspolitische Endmoräne. Aber vielleicht  treibt ihn nun doch die Reue vergangener verkehrspolitischer Sünden?

     Ist da einer vom Saulus zum Paulus geworden? Oder ist das eine Art feindliche Übernahme auf akademischem Gebiet?

     Es ist wohl eher der Versuch einer feindlichen Übernahme! Erst kürzlich auf einem Symposium der Bertelsmann-Stiftung für Bürgerbeteiligung hat er volltönend das Fachwissen parlamentarischer Entscheide bei Verkehrprojekten gepriesen, wobei er natürlich seine eigenen Heldentaten beim Bau von Auto- und Landebahnen hervorhob. Die Meinung des unbedarften Volkes ist ihm da nur hinderlich. Wer aber die „Gutachten“ zum Flughafenausbau gelesen hat, weiß, wie wichtig eine fachkundige Mitwirkung der Bürger gewesen wäre. Entsprechen solche „Gutsachten“ dem wissenschaftlichen Niveau des Dozenten Posch? Man müsste um die Zukunft des ÖPNV, ja der gesamten Verkehrs- und Wirtschaftsstruktur bangen, sollte die „Management School“ gleiche wissenschaftliche Wertschätzung genießen wie die Universität, was aber durch Beschäftigung derlei Personals eher verhindert werden dürfte. Trotzdem erleidet unser Land wieder einmal Schaden mit einer solchen politischen Berufung im akademischen Bereich.

MR, 11.10.2012