



29.10.2013
Luftkurort Kassel-Calden
Kaum wurde die Eröffnung des neuen Regionalflughafen Kassel-Calden gefeiert, muss er mangels Bedarf geschlossen werden. Der letzte Ferienflieger landet Ende Oktober, für Luftfracht will sich partout kein Interessent finden.
Einerseits haben die überwältigenden Naturschönheiten und das subtropische Heilklima Nordhessens die Touristen davon abgehalten, gen Süden abzuheben. Sie bleiben lieber gleich da. Andererseits wird die wohlhabende Bevölkerung von der starken nordhessischen Wirtschaft vollumfänglich versorgt. Da bleibt nichts übrig für die Luftfracht, weder Export noch Import. Nachdem Baden-Baden schon vor Jahrzehnten seinen riesigen Hauptbahnhof zum Kurfestspielhaus ungewandelt und dadurch zum prominentesten Badeort der Republik aufstieg, drängt sich auch für Calden eine viel sinnvollere und effizientere Nutzung geradezu auf, findet die Montagsrunde.
Nachdem schon so bald nach dem ersten das letzte Verkehrsflugzeug in Calden abgefertigt wird, kann der so großzügig ausgebaute Flughafen endlich einer nützlichen Verwendung zugeführt werden, die den Einsatz von 271 Millionen Euro Steuergelder rechtfertigt. Eingebettet in unberührte Natur und ohne jeglichen Verkehrslärm dient der Ort künftig der Vorbeugung und Heilung fluglärmbedingter Kreislauf- und Herzleiden. Großzügig unterstützt von der Lufthansa und dem Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport, entstehen entlang der Caldener Landebahn Reha-Kliniken und Sanatorien, um die lärmgeschädigte Bevölkerung des Rhein-Main-Gebietes nachhaltig zu kurieren. Der Umbau des Empfangsgebäudes zum repräsentativen Kurhaus mit Wandelhalle, Kursaal und Thermalbad wird zur Saison im nächsten Frühjahr vollendet sein. Konzerte finden im Sommer auf dem ausgedehnten Rollfeld statt, in der kalten Jahreszeit bietet ein ausgedienter Jumbo-Jet so originellen wie großzügigen Raum. Anstelle der Tankanlage entsteht ein Wassertretbecken streng nach den Regeln von Pfarrer Kneipp.
Die Landesregierung hat versprochen, dass niemand entlassen wird: Die Vorfeldautos geleiten mit leuchtender Botschaft „Follow Me“ die Patienten zu ihren Anwendungen. Für die gebrechlichen Rhein-Mainer müssen sogar mehr Koffer geschleppt werden als für robuste Flugtouristen. Die Gepäckbänder dienen künftig einer Sushi-Bar. Die Flugleitung erledigt die Abrechnung mit den Krankenkassen. Zugleich fahndet sie mit Ferngläsern vom Tower aus nach kerngesunden Simulanten.
Die Kuren dauern vier Wochen, worauf jeder Rhein-Main-Bürger alle zwei Jahre Anspruch hat. Extrem belastete Patienten, etwa die Bewohner von Neu-Isenburg oder Flörsheim, erfahren eine sechswöchige Intensivbehandlung, die ihnen jährlich gewährt wird. Bewusst setzen Wissenschaftler auf die therapeutische Wirkung einer Flughafenatmosphäre, damit die Patienten nach der Kur zumindest psychisch entspannter den Frankfurter Fluglärm aushalten. Auch der gelegentliche Flugbetrieb von Segelflugzeugen soll einer gelasseneren Wahrnehmung des Flugverkehrs förderlich sein.
Schon jetzt gilt das geräuscharme Verkehrsaufkommen am Kasseler Flughafen als Vorbild für Rhein-Main. Mittelfristig ist geplant, den Flugbetrieb am Frankfurter Flughafen dem Kasseler Modell anzupassen. Mediziner aller Fakultäten erwarten eine tiefgreifende Gesundung der geschundenen Rhein-Main-Bevölkerung, Wirtschaftswissenschaftler dadurch eine massive Aufwertung des Standorts.
Nicht nur der Kasseler, auch der Frankfurter Flughafen hat eine große Zukunft.
p.s. Die Baden-Badener haben nicht nur den Bahnhof, sondern auch ihren Flughafen stillgelegt und in ein Gewerbegebiet mit alpiner Kletterhalle umgewandelt. Eine zweitbeste Lösung für überflüssige Flughäfen, aber angesichts zu Visionen unfähiger Politikerhirne immerhin eine Alternative.